Belastungsverträglichkeit aufbauen

Vom Läufer zum Canicrosser

 

 „Belastungsverträglichkeit“ – ein kleiner Zungenbrecher mit viel Bedeutung. „Belastung“ kann sowohl physischen als auch psychischen Stress für uns bedeuten. Wir reagieren darauf mit Anpassung. Mit der Zeit lernt unser Körper, mehr von dieser Art der Belastung auszuhalten. Ist diese „Belastung“ in einem Moment aber zu hoch für uns, so können wir uns nicht ausreichend schnell anpassen und verletzen uns. Das kann eine akute Verletzung sein, wobei man hier Unfälle ausnehmen muss, diese passieren manchmal einfach und auch der perfekt vorbereitete Athlet kann bspw. stürzen. Vor allem aber kommt es zu Überlastungssymptomen. Der Körper zeigt uns durch Schmerzen, dass wir es übertrieben haben und er die Schäden nicht so schnell reparieren kann wie wir sie verursachen. Darauf reagieren wir dann meistens einfach mit einer Trainingspause und schonen. Der Schmerz zieht sich zurück. Sobald wir wieder in das Training einsteigen, kommt der Schmerz aber sehr schnell zurück, denn wir haben ja nichts verändert. Die Belastung ist nach wie vor zu groß für den Körper, lediglich die akute Entzündung hatte Zeit abzuklingen.

Von welcher Art der Belastung rede ich hier? Da wir vom Laufen, insbesondere vom Canicross sprechen, meine ich vor allem den „Impact“ (dt. Aufprall) den jeder einzelne Schritt auf den Körper macht. Kann die Muskulatur diese kontinuierlichen Impacts abfedern, so kann ich problemlos und schmerzfrei laufen. Ist die Muskulatur aber koordinativ oder metabolisch überfordert (sprich – ermüdet durch das Training), so kann sie diese Impacts nicht mehr optimal abfedern, die passiven Strukturen (Sehnen & Bänder) bekommen mehr von der Belastung ab, sind dies aber auch nicht gewohnt und so kommt es über kurz oder lang zu Überlastungssymptomen wie etwa den „Shin Splints“ oder einem „Läuferknie“.

Wie bringe ich nun meinem Körper bei, die Belastung des Laufens an sich und das oft ungewohnt hohe Tempo im Canicross gut auszuhalten?

Sehen wir uns dazu die Anpassungszeiten des Körpers an. Die Ausdauer verbessert sich am schnellsten. Beginnen wir mit dem Training kann man bereits nach wenigen Wochen erste Erfolge sehen. Umgekehrt spürt man bereits nach ein oder zwei Wochen Pause, wie die Ausdauer wieder weniger wird. Die Muskulatur braucht etwa 6 Wochen um sich an neue Belastungen zu gewöhnen, auch das ist vergleichsweise sehr schnell. Beginnt man mit einem neuen Training so kann man bereits in den ersten Wochen Erfolge sehen, dies beruht auf neuromuskulären Veränderungen (also verbesserter Koordination), die ebenfalls sehr schnell passieren. Nach 6 Wochen werden aber erste Veränderungen in der Muskulatur bemerkbar.

Sehnen und Bänder sind hier schon ein wenig schwieriger und hier liegt oft „der Hund begraben“: sie benötigen zumindest 6 Monate (!) um sich an neue Belastungen anzupassen. Und weil ja die Ausdauer viel schneller besser wird und wir dann gerne mehr machen wollen, ignorieren wir diese Zeit, steigern zu schnell und die ersten kleinen Probleme tauchen auf. Da hilft auch nicht der fünfte Laufschuh oder eine starre Sprunggelenksbandage. Wenn der Körper keine Zeit hat, sich an Belastung zu gewöhnen, ist er konstant im Stress, die Belastung nur irgendwie „auszuhalten“ und durch permanente Entzündungsprozesse wird die Anpassung weiter behindert.

Wie werden Sehnen und Bänder stärker? Durch kontinuierliche, ansteigende Belastung im Wechsel mit ausreichend Ruhephasen. Und da Laufen eine massive Einwirkung auf diese Strukturen darstellt, sollte auf jeden Fall ein Teil dieser notwendigen Belastung aus dem Krafttraining kommen. Denn schlussendlich sollen ja die Muskeln für uns arbeiten und die „passiven Strukturen“ hauptsächlich passiv unterstützen und nicht den ganzen Impact abbekommen. Um eine Sehnenscheidenentzündung vollständig ausheilen zu lassen, sollte man außerdem etwa 6 Wochen Zeit einrechnen. Begleitet von Physiotherapie, Topfenwickeln und anderen Methoden. Eine Woche ruhigstellen und dann eine Bandage zu „Schonung“ zu verwenden, ist langfristig nicht zielführend!

Der Vollständigkeit halber sei auch noch die Anpassungszeit der Knochen erwähnt mit ca. einem Jahr. Leider neigen gerade auch (Leistungs-)Sportler zu sogenannten „Ermüdungsbrüchen“. Diese können zwar auch ohne Zusammenhang mit Sport auftreten, sind aber bei Läufern weitaus häufiger zu finden.

Wie kann ich diese Sache nun „richtig“ angehen, um mich langfristig nicht zu überlasten oder zu verletzen?

Sport-Biomechanikerin und Duathlon-Weltmeisterin Sandrina Illes sagte zu mir in einem Gespräch über Canicross, dass man eigentlich mehrere Hunde in verschiedenen Größen und „Zugstärken“ bräuchte um sich optimal an die Belastung zu gewöhnen. „Man könnte mit dem kleinen 9kg Jack Russell anfangen und sich dann über mittelgroße Hunde bis hin zum 30kg „Hound“ vorarbeiten, mit jeweils einigen Wochen Trainingszeit dazwischen. Nachdem das meist nicht realistisch ist, muss man die Belastungsdauer betont kurz halten – die ersten Wochen sollte man sich im einstelligen Minutenbereich an die schnelle Bewegung beim „Gezogenwerden“ gewöhnen – aufgeteilt in beliebig viele Kurzintervalle, die jeweils nicht länger dauern dürfen, als man das hohe Tempo auch noch technisch sauber (das bedeutet meist Vorfußlauf und eine Schrittfrequenz 180+) im jeweiligen Gelände laufen kann. Grundbedingung ist, dass man schon ohne Hund die saubere Laufbewegung des flachen Fußauftritts, der richtigen Schwerpunktslage auch im gewünschten Gelände automatisiert (!) hat, sodass es mit der Ablenkung durch die Führung des Hundes auch noch funktioniert. Nachdem die Tempobereiche im Canicross höher sind, bieten sich länger werdende Vorfußsprints als Vorbereitung gut an.“

Zusätzlich muss man hier erwähnen, dass Bergablaufen eine große Belastung auf den Körper darstellt, die sich bei z.B. Trailläufen meistens nicht vermeiden lässt. Auf Zug bergab zu laufen ist jedoch der belastungsmäßige „Supergau“ und sollte soweit möglich immer vermieden werden. Gerade in Rennen wird diese Belastung oft in Kauf genommen, mit dem Ergebnis, dass der Hund bergab permanent über die Ferse gebremst wird und der Läufer nachher keine Haut mehr an dieser Stelle hat. Gerade Läufer im Mittelfeld eines solchen Rennens sollten sich sehr genau überlegen, ob sie nicht vielleicht lieber diese paar Sekunden opfern, die es braucht bis der Hund vom Zug in ein „Hinten“ oder „Easy“ Kommando wechselt. Abgesehen davon, dass auch dieses „Hinten“ Kommando ein fixer Bestandteil des Canicrosstrainings sein sollte und unbedingt mit dem Hund trainiert gehört.

Welche Möglichkeiten habe ich nun, mich auf diese Belastung vorzubereiten?

Punkt 1): Krafttraining ist der beste Freund der Canicrosser (abgesehen vom Hund, selbstverständlich ????). Auch für Läufer ist das Krafttraining essentiell, doch im Canicross bekommt es eine noch größere Bedeutung. Hier sei auch das Plyometrische Training (also Sprungtraining) als ergänzender Trainingsinhalt genannt. Training für den Rumpf („Rumpfstabi“) ist wichtig, besser wäre aber ein Ganzkörpertraining. Denn gerade die Muskulatur in Waden und Oberschenkeln hat beim Laufen sehr viel zu tun. Sandrina empfiehlt hier auch Seilspringen (barfuß oder in Socken) als Bestandteil des Krafttrainings, mit dem Fokus auf eine möglichst weiche/leise Landung.

Außerdem ist eine gute Lauftechnik essentiell, daher:

Punkt 2):  Als Läufer versuche ich durch kleine, schnelle Schritte den Impact jedes einzelnen Schrittes gering zu halten. Umso wichtiger ist diese Taktik wenn die Belastung durch einen Zughund vervielfacht wird und ich den Hund im Laufen möglichst wenig bremsen möchte. Das erleichtert dem Hund seine Arbeit und schont wiederum meine Füße. Die Schrittfrequenz zu erhöhen sollte also auf dem Plan jedes Trainers und Sportlers stehen. Dies kann z.B. mithilfe eines Metronoms geübt werden.

Punkt 3): Der Fußaufsatz auf dem Boden: Sieht man sich Videos von Anfängern im Canicross an so hat man oft den Eindruck, das Sprunggelenk wird ungebremst mit voller Wucht in den Boden „gerammt“. Es ist insgesamt zu wenig Muskulatur vorhanden und die koordinative Feinabstimmung der Wadenmuskulatur kann den Fußaufsatz nicht gezielt steuern und „bremsen“. Dies muss zuerst ohne Hund, ohne Zug perfektioniert werden, bevor es mit einem Zughund klappen kann.

Punkt 4): Ist es ein sehr zugstarker Hund und der Läufer noch eher am Anfang, so sollte zumindest eine Zeit lang auf das Training im Zug verzichtet werden, bis ausreichend Kraft und Ausdauer für kurze Einheiten vorhanden ist. Hier bietet sich Training an Bike und Scooter für den Hund als alternative an. Auch „walken“ auf Zug, insbesondere Bergauf, reduziert die Belastung auf die Gelenke und der Hund kann trotzdem trainiert werden. Hier muss aber ebenfalls auf einen aktiven Fußaufsatz geachtet werden, der Fuß sollte nicht bei jedem Schritt auf den Boden knallen um den Hund noch irgendwie bremsen zu können. Bergab sollte auch hier auf den Zug verzichtet werden.

Punkt 5): Schlussendlich muss die Belastung schrittweise erhöht werden. Ich kann mit kurzen Einheiten anfangen und mich hier auf die Lauftechnik konzentrieren (z.B. 7x45sec Intervalle). Zu Beginn suche ich mir dafür eine leicht bergauf verlaufende Strecke. Dadurch ist das Tempo reduziert, der „Impact“ für jeden Schritt verringert und ich kann mich leichter auf meine Lauftechnik konzentrieren. Für den Hund ist die Arbeit bergauf auch anstrengend und er bekommt ein gutes Training davon. Obwohl der Fokus dieses Trainings bei der menschlichen Lauftechnik liegt, muss ich gleichzeitig auf die Qualität der Zugarbeit achten. Bei ganz regelmäßigen Intervallen kann es sein, dass manche Hunde von selbst aus dem Zug gehen, wenn die Zeit vorbei ist. Wenn das passiert würde ich die Dauer der Intervalle variabler gestalten, zwischen 30 sec und 1min, solange der Hund sauber arbeitet. Bei wenig trainierten Hunden darf die Steigung auch nicht so groß sein, dass ihm nach 45sec die Kraft ausgeht. Dann suche ich entweder eine weniger steile Strecke oder kürze die Intervalle.

Zum Abschluss sei noch der Wert eines guten Aufwärmprogramms erwähnt. Dies sollte (vor Canicrosstrainings) zumindest 20min dauern. Lockeres einlaufen ohne Hund, bei dem ich mich perfekt auf eine richtige Technik konzentrieren kann. Wenn möglich lasst eure Hunde dafür sogar noch im Auto warten. Wenn ihr ständig nach eurem Hund schaut, könnt ihr euch auch nicht wirklich auf das Laufen konzentrieren. Möchte man auch das Lauf-ABC einbauen, so sollte das vor dem Canicross eher kurzgehalten werden und nur zur Aktivierung dienen.

Mache ich die anstrengenderen Übungen im Warm-Up zu lange, ermüde ich die kleinen Muskeln in der Wade schon vor dem Training so weit, dass ich nachher keine schöne Technik zusammenbringe. Das Lauf-ABC baue ich besser in eine andere Trainingseinheit ein.

Das außergewöhnliche an unserem Sport, die Teamarbeit mit dem Hund, das „eins-werden“, ist dann am allerschönsten, wenn keiner im Team mit seiner Aufgabe überfordert ist. Das Training des Hundes und des Menschen sollte einen gleichermaßen hohen Stellenwert für uns im Canicross haben. So kann eine Partnerschaft gelingen und langfristig viel Freude und persönliche Erfolge bescheren.

 

 

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